Cover
Titel
Prokop von Caesarea.


Autor(en)
Brodka, Dariusz
Reihe
Olms Studienbücher Antike 19
Erschienen
Hildesheim 2022: Georg Olms Verlag
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Battistella, Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Forschungsstelle "Historisch-philologischer Kommentar zur Chronik des Johannes Malalas", Tübingen

Das aktuelle Interesse der Spätantike-Forschung an Prokop von Caesarea kann nicht geleugnet werden, denn eine Auflistung aller jüngeren Publikationen kann hier unmöglich geleistet werden.1 Angesichts dessen sind Überblicks- bzw. Einführungswerke für diejenigen, die mit den aktuellen Diskussionen und ihren Grundlagen weniger vertraut sind, von besonderer Wichtigkeit. Ein solches Werk aus der Feder von Dariusz Brodka, einem ausgewiesenen Kenner der spätantiken Historiographie, erschien nun in der Reihe Olms Studienbücher Antike.

Das Buch gliedert sich in insgesamt neun Kapitel, die von Inhaltsverzeichnis (S. 5f.) und Vorwort (S. 7f.) einerseits sowie von Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 184–194) und einem Register (S. 195–199) andererseits umschlossen werden. Die Anordnung des eigentlichen Stoffes orientiert sich an der Struktur anderer Bände der Reihe.2 Das erste Kapitel „Leben und Zeit“ (S. 9–14) stellt in knappen Zügen die Regierungszeit Justinians und die bekannten Informationen über das Leben Prokops vor. Die anschließenden drei Kapitel machen die Leserschaft mit den drei erhaltenen Werken Prokops vertrauter, zunächst mit den Bella (S. 15–61), dann mit den Anekdota (S. 62–86) und schließlich mit der Schrift De aedificiis (S. 87–105). Auf diese ersten vier grundlegenden Kapitel zu Autor und Werk folgen thematische Ausführungen zu Prokop als Historiker (S. 106–138), zu seinem Geschichtsdenken (S. 139–155), zu seiner Beurteilung der justinianischen Außenpolitik (S. 156–165), zu „Stil und Sprache“ (S. 166–170) sowie zur „Nachwirkung“ (S. 171–183).

In den ersten vier Kapiteln informiert Brodka seine Leserschaft souverän über das, was hinsichtlich Autor und Werk als gesichert gelten kann, und weist auf offene Fragen wie die der Identifikation des Autors Prokop mit dem gleichnamigen Stadtpräfekten von 562 (S. 13f.) und auf Forschungsdebatten hin, etwa mit Blick auf die Entstehungsumstände von Anekdota (S. 62–64 u. 73–76) und De aedificiis (S. 87-89). Kurz, nuanciert und dennoch leicht verständlich erläutert Brodka das jeweils der Debatte zugrundeliegende Problem und die zugehörigen Argumente, bevor er seine eigene Tendenz zur Diskussion stellt.

Einige Thesen aus der angelsächsischen Forschung lehnt Brodka hingegen entschieden ab, etwa die These von James Howard-Johnston3, wonach Prokop Ingenieur gewesen sei und aus fachlichem Interesse die Schrift De aedificiis verfasst habe (S. 96, Anm. 186). Warum diese These nicht überzeugen kann, erfährt die Leserschaft jedoch leider erst wesentlich später: „Fachbegriffe aus dem architektonischen Bereich“ erscheinen in dieser Schrift „nicht in dem Maße, wie man es von einem Werk über Architektur erwarten würde“ (S. 168; dort auch weitere Literaturverweise).

Mehrfach kritisiert Brodka auch Thesen von Anthony Kaldellis4, etwa die Ansicht, dass die Anekdota einen hohen Wahrheitsgehalt hätten und Justinians Herrschaft tatsächlich eine besondere Tyrannei dargestellt habe (S. 82). Vielmehr müsse man, so Brodka, „der Meinung zustimmen, dass es unmöglich ist, zu sagen, was Prokop tatsächlich von Justinian gehalten habe. Die Kritik muss nicht unbedingt ehrlich sein. Es ist methodisch unzulässig anzunehmen, dass der Angriff auf Justinian in den Anekdota authentisch sei und die wahren Ansichten des Historikers widerspiegele, während das öffentliche Lob im Panegyrikus De aedificiis unecht sein müsse – eine solche Vorgehensweise führt zu einer Verwechslung zwischen dem Erzähler und dem Autor, die nicht gleichgesetzt werden dürfen“ (S. 76). Dieser Grundgedanke, zwischen Wirkabsicht und Perspektive eines Werkes auf der einen Seite und den tatsächlichen Ansichten des Autors auf der anderen Seite zu unterscheiden, ist sicher sinnvoll, führt aber auch zu der Frage, ob man im Falle der Bella dann nicht ähnlich vorsichtig verfahren müsste. Eine solche vollständige Entkopplung von Autor und Werk nimmt Brodka für die Bella jedoch nicht vor – wahrscheinlich, weil gerade antike Historiographen ihre persönlichen Nachforschungen und Autopsie hervorkehren, um an Autorität und Glaubwürdigkeit zu gewinnen.5

Diesen Aspekt betont jedenfalls Brodka, wenn er zu Beginn des fünften Kapitels Anspruch und Tradition der antiken Geschichtsschreibung darlegt (S. 106–112) und im Anschluss auf die Quellen Prokops eingeht (S. 112–117). Von dort geht Brodka zur Behandlung der Frage über, wie glaubwürdig Prokops Ausführungen tatsächlich sind. Ungenauigkeiten in De aedificiis führt Brodka auf die Gattung der Schrift sowie fehlende Autopsie zurück, die teilweise durch veraltetes Ausgangsmaterial kompensiert worden sei (S. 136–138). Die Anekdota wiederum besäßen einen negativ-parteiischen Grundton in der Darstellung und würden zudem einige Aussagen der Bella modifizieren. Es gehe dabei jedoch primär um die Bewertung; sachliche Widersprüche zwischen den beiden Werken lägen nicht vor (S. 117–128). Ein Abgleich der Bella mit anderen Quellen zeige allerdings, dass die Darstellung in dieser Schrift nicht immer völlig objektiv sei (S. 128–136); Prokop nutze „das ihm zur Verfügung stehende Material […], um einerseits Belisar als tapferen Feldherr [sic] zu stilisieren, der die Macht Justinians rettete, und andererseits seine Abneigung gegen Johannes den Kappadoker, Tribonian und die Zirkusparteien sowie eine gewisse Kritik an Justinian zum Ausdruck zu bringen“ (S. 136). Entgegen der weiter oben zitierten Aussage scheint Brodka demnach wohl doch Prokops Ansichten ermitteln zu können – und diese scheinen den Anekdota näher zu stehen als dem Lob von De aedificiis, womit sich Brodka letztlich der Position von Kaldellis wieder annähert. Eine weitere Präzisierung in dieser Frage findet sich im siebten Kapitel.

Zuvor beschäftigt sich Brodka im sechsten Kapitel mit dem Geschichtsdenken Prokops. Schlüssig legt er dar, wie Gott, Tyche, Handeln des Einzelnen, Notwendigkeit und günstige Gelegenheit bei Prokop miteinander in Verbindung stehen (S. 139–155). Dabei sieht er Prokop als einen Christen an, der „sich zur Orthodoxie bekannte“ (S. 139). Die Position von Kaldellis, Prokop sei Heide oder Namenchrist gewesen6, lehnt er ab (S. 142, Anm. 276 u.ö.) und schließt damit an Timo Sticklers Untersuchungen an.7 Da Prokops Terminologie jedoch, wie Stickler ausführt, in Bezug auf die zeitgenössischen christologischen Debatten unpräzise bleibt, könnte man fragen, wie Brodka Prokops „Orthodoxie“ definiert, zumal das Phänomen der ungenauen Positionierung in theologischen Debatten, wie Maria Conterno aufzeigt8, für das 6. Jahrhundert nicht unüblich ist.

Im siebten Kapitel „Außenpolitik und restauratio imperii“ (S. 156–165) ordnet Brodka die Prokop’sche Darstellung in den historisch-ideologischen Gesamtkontext ein und kehrt so zur Frage der Justinian-Kritik zurück. Er konstatiert, „dass Prokop als Römer, der der Idee der Größe Roms verpflichtet ist, die Ziele der imperialen Politik Justinians billigt […]. Seine Kritik bezieht sich nicht auf die Kriege und deren Ursachen an sich, sondern auf die knausrige Kriegsführung durch Justinian und die verheerenden Folgen der lang andauernden Kriegshandlungen“ (S. 165). Dies ist gewissermaßen Brodkas abschließendes statement zu Prokops Sicht auf (bzw. Darstellung von) Justinian und in der Sache wohl zutreffend.

Die letzten zwei Kapitel befassen sich, ihren Titeln gemäß, mit „Stil und Sprache“ (S. 166–170) sowie der „Nachwirkung“ Prokops (S. 171–183). Sie komplementieren das Gesamtbild, indem sie zum einen Prokops narrative wie sprachliche Orientierung an Herodot und Thukydides, aber auch die Differenzen noch einmal verdeutlichen und zum anderen das Schicksal der Schriften Prokops von der Antike bis in die Gegenwart nachzeichnen, wobei auf Kunst und Kultur ebenso wie auf wissenschaftliche Erforschung geblickt wird. Danach endet der Text vergleichsweise abrupt, denn ein abschließendes Fazit, etwa in Form einer Gesamtwürdigung des antiken Autors, fehlt. Dies tut dem Buch inhaltlich jedoch keinen Abbruch.

Da es sich um ein Einführungswerk handelt, muss das Ziel des Buches sein, einen Überblick zu vermitteln – und dies gelingt Brodka. Zwar werden manche Aspekte wegen der Stoffverteilung mehrfach oder verstreut behandelt und andere interessante Punkte, etwa die Gestalt der Theodora jenseits der Anekdota, nur touchiert, doch bietet jedes Kapitel trotzdem eine solide und in sich verständliche Ausgangsbasis für eine eingehendere Beschäftigung. Selbst wenn diese Beschäftigung dann möglicherweise an der einen oder anderen Stelle zu anderen Urteilen führen mag, so ist das Werk als deutschsprachige Einführung dennoch eindeutig zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Es sei hier lediglich auf drei rezente Sammelbände hingewiesen: Mischa Meier / Federico Montinaro (Hrsg.), A Companion to Procopius of Caesarea, Leiden 2022; Geoffrey Greatrex / Sylvain Janniard (Hrsg.), Le monde de Procope. The World of Procopius, Paris 2018; Christopher Lillington-Martin / Élodie Turquois (Hrsg.), Procopius of Caesarea. Literary and Historical Interpretations, London 2018.
2 Vgl. etwa aus der Reihe Stephan Schmahl, Sallust, 4. Aufl., Hildesheim 2021; Ulrich Schmitzer, Ovid, 2. Aufl., Hildesheim, 2011.
3 James D. Howard-Johnston, The Education and Expertise of Procopius, in: Antiquité Tardive 8 (2001), S. 19–30.
4 Anthony Kaldellis, Procopius of Caesarea. Tyranny, History, and Philosophy at the End of Antiquity, Philadelphia 2004.
5 Für Details zur Konstruktion der Figur und des Erzählers Prokop durch den gleichnamigen Autor vgl. auch Olivier Gengler / Élodie Turquois: A Narratological Reading of Procopius, in: Meier/Montinaro, Companion, S. 374–416.
6 Kaldellis, Procopius, zum Beispiel S. 216: “His [=Procopius'] God is fortune – not Christ – and she is the only higher power affecting the course of history.”
7 Timo Stickler, Procopius and Christian Historical Thought, in: Meier/Montinaro, Companion, S. 212–230.
8 Maria Conterno, Procopius and non-Chalcedonian Christians. A Loud Silence?, in: Greatrex/Janniard, Le monde, S. 95–111.

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